Die Trends bei dieser Bürgerschaftswahl sind im Wesentlichen dieselben wie bei den anderen Landtagswahlen der vergangenen zwei Jahre – sie führen nur zu einem völlig anderen Ergebnis. In Hamburg gibt es weiterhin stabile Verhältnisse, weil die SPD zwar auch deutlich Federn lassen muss, aber dies auf hohem Niveau. Ein starker Spitzenkandidat bewahrt sie vor einem Sturz ins Bodenlose. Der grüne Koalitionspartner wird im Gegenzug deutlich gestärkt, so dass der rot-grüne Senat per Saldo seine Arbeit mit noch größerer Mehrheit fortsetzen kann als bisher. Insofern ist Hamburg ein Fels in der politischen Brandung. In acht Bundesländern gibt es mittlerweile Dreierbeziehungen in der Regierung oder es reicht, wie in Thüringen, noch nicht mal dafür. In Hamburg hingegen baut die letzte verbliebene rot-grüne Koalition auf Landesebene ihre Mehrheit aus und bewegt sich je nach Abschneiden der kleineren Parteien sogar um die Zweidrittelmehrheit herum.
Hamburg hat das komplizierteste Wahlgesetz der Republik. Das kostet die Wählerinnen und Wähler einige Mühe, denn sie müssen bis zu zehn Kreuze machen. Und die Öffentlichkeit muss sich in Geduld üben, denn in Hamburg dauert das Auszählen einfach länger.
Das Hamburger Wahlrecht ist das Ergebnis von zwei Volksbegehren. Seit 2011 können die Hamburger Wählerinnen und Wähler nicht nur darüber entscheiden, wie stark die Parteien in der Bürgerschaft vertreten sind, sondern auch, welche Kandidat*innen von den Listen der Parteien zu Abgeordneten werden.
Acht Mal wurde nun seit der Bundestagswahl gewählt, sieben Mal in Bundesländern und ein Mal das Europäische Parlament. Und jeweils sieben Mal gab es für Union und SPD teils deutliche Verluste. Mehrfach waren die Ergebnisse, wie jetzt für CDU und SPD in Thüringen, historische Tiefpunkte im jeweiligen Wahlgebiet.
In Sachsen und in Brandenburg müssen wir uns heute Abend darauf einstellen, dass rechtliche Besonderheiten über Mehrheiten entscheiden können. In Sachsen spielt dabei die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs über die AfD-Liste möglicherweise eine entscheidende Rolle. Weil der Parteitag unterbrochen und das Wahlverfahren geändert worden war, hatten die Richter die Landesliste der AfD nur bis Platz 30 zugelassen.
Einer der beiden Wahlsieger ist wieder einmal die Partei der Grünen. Sie erhält nicht nur ihr bestes hessisches Wahlergebnis, sie avanciert auch zur stärksten Kraft in den hessischen Großstädten mit vermutlich am Ende um die 27 Prozent, die sie in den Großstädten holt. Die Partei hat ein eher junges Wählerprofil. Die stärksten Anteile holt sie bei den 18- bis 24-Jährigen mit rund 26 Prozent. Nur bei den über 70-Jährigen spielt sie mit 11 Prozent Wähleranteil eine geringe Rolle. Wie schon in Bayern binden die Grünen die höher Gebildeten und sind dafür bei den Menschen mit einfacher Bildung eher schwach.
Besonders grundlegend sind die Probleme bei der SPD. Hier setzt sich fort, was wir bei früheren Wahlen schon beobachtet haben. Die Kompetenz auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit geht weiter zurück. Aus Sicht der hessischen Wähler ist nun die Linke die Partei, die sich am stärksten um den sozialen Ausgleich bemüht (49 Prozent), und nicht mehr die SPD (43 Prozent). Die Wähler vermissen zu 79 Prozent ein zentrales Thema, mit dem die SPD die Menschen begeistern kann. Sie wissen zu fast zwei Dritteln nicht mehr „wofür sie eigentlich steht“ und wünschen sich deshalb mehrheitlich (63 Prozent), dass die SPD die Regierung in Berlin verlässt und sich in der Opposition erneuert.
An diesem Wahlsonntag steht „Landtagswahl“ dran, aber es ist vor allem Bundespolitik drin. Selten hat sich bei den Wahlen der letzten Jahre durch den Wahlkampf hinweg die bundespolitische Stimmung derart durchgesetzt wie jetzt in Hessen. Umfragekurven auf Bundes- und Landesebene verlaufen seit Jahresbeginn weitgehend parallel. Allein der Landes-CDU scheint es auf der Schlussgeraden gelungen zu sein sich vom Abwärtstrend abzusetzen und die Stimmung zu drehen. Letztlich bedeutet das aber auch nur, dass die Verluste nicht ganz so dramatisch ausfallen wie zeitweise befürchtet.
Dass die SPD in einem westlichen Bundesland mal um die Zweistelligkeit ringen würde, war noch bis vor kurzem unvorstellbar. Ihr bisher historisch schlechtestes Ergebnis in der Bundesrepublik überhaupt, hat sie 2004 in Sachsen mit 9,8 Prozent erzielt. Gut möglich, dass sie heute Abend in Bayern auch dort landet.