Die Trends bei dieser Bürgerschaftswahl sind im Wesentlichen dieselben wie bei den anderen Landtagswahlen der vergangenen zwei Jahre – sie führen nur zu einem völlig anderen Ergebnis. In Hamburg gibt es weiterhin stabile Verhältnisse, weil die SPD zwar auch deutlich Federn lassen muss, aber dies auf hohem Niveau. Ein starker Spitzenkandidat bewahrt sie vor einem Sturz ins Bodenlose. Der grüne Koalitionspartner wird im Gegenzug deutlich gestärkt, so dass der rot-grüne Senat per Saldo seine Arbeit mit noch größerer Mehrheit fortsetzen kann als bisher. Insofern ist Hamburg ein Fels in der politischen Brandung. In acht Bundesländern gibt es mittlerweile Dreierbeziehungen in der Regierung oder es reicht, wie in Thüringen, noch nicht mal dafür. In Hamburg hingegen baut die letzte verbliebene rot-grüne Koalition auf Landesebene ihre Mehrheit aus und bewegt sich je nach Abschneiden der kleineren Parteien sogar um die Zweidrittelmehrheit herum.
Die Grünen könnten am Ende das zweitbeste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielen. Nur 2016 in Baden-Württemberg lagen sie mit 30,3 Prozent noch darüber. Das hat wenig mit der Spitzenkandidatin Katharina Fegebank zu tun, deren persönliche Zugkraft mit einem Kandidatenfaktor von elf Prozent doch überschaubar bleibt. Den Grünen wird aber die höchste Kompetenz bei zwei der wichtigsten Themen im Hamburger Wahlkampf beigemessen, der Umwelt- und der Verkehrspolitik.
Die SPD hingegen verdankt es vor allem dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher, dass ihre Verluste nicht zweistellig geworden sind. Seine persönlichen Werte haben sich gerade während der letzten Wochen des Wahlkampfs kontinuierlich verbessert. Zuletzt waren 67 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden. Seine große Stärke ist dabei, dass er tief in das bürgerliche Lager hineinwirkt: CDU- und FDP-Wähler bewerten ihn mehrheitlich positiv. Und das gilt sogar für einen größeren Teil der verbliebenen AfD-Wähler. Hinzu kommt eine, gemessen an SPD-Werten, vergleichsweise hohe Wirtschaftskompetenz mit 41 Prozent. Die Hamburger SPD hat sich von den bundespolitischen Problemen ihrer Partei nicht infizieren lassen und die beiden neuen Vorsitzenden der Bundespartei im Wahlkampf konsequent außen vor gelassen.
In jeder Hinsicht bitter ist dieser Wahlsonntag für die Union. Nur ein einziges Mal in der bundesdeutschen Geschichte hat sie bei einer Landtagswahl schlechter abgeschnitten. Das war 1951 in Bremen, mit damals 9 Prozent. Weder der Spitzenkandidat noch das politische Angebot im Hamburger Wahlkampf konnten überzeugen. Und anders als früher gibt es für unionsgeneigte Wähler kaum noch bundespolitische Argumente, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Angela Merkel, die in Hamburg regelmäßig hohe Zugkraft hatte, steht vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft. Und ansonsten beklagen 80 Prozent der Befragten in Hamburg, dass sich die Bundes-CDU derzeit mehr um Personen und Ämter kümmere als um politische Inhalte.
Während für die Wähler der Linken vor allem die Themen Wohnen und Mieten und soziale Sicherheit zentrales Motiv waren, dürfte die ohnehin schwächelnde FDP auch ein Stück weit unter den Ereignissen in Thüringen gelitten haben. Die Befragungen von Infratest dimap lassen erkennen, dass insgesamt nur ein sehr kleiner Teil der Wählerinnen und Wähler dieses Thema in ihre Wahlentscheidung mit einbezogen hat. Bei einer Gruppe allerdings ist das anders: Denjenigen, die 2015 FDP gewählt haben und der Partei jetzt den Rücken kehrten. Immerhin ein Fünftel von ihnen gibt an, die Geschehnisse in Erfurt mit berücksichtigt zu haben.
Die AfD hatte bereits bei der Bundestagswahl in Hamburg ihr niedrigstes Ergebnis auf Landesebene erzielt. Damals spielte zumindest das Hauptthema Migration in der Debatte noch eine gewisse Rolle. Jetzt erklären gerade noch fünf Prozent der Befragten, dass die Zuwanderung für sie persönlich bei ihrer Wahlentscheidung die größte Bedeutung gehabt habe. Das von Spitzenkandidat Nockemann im Wahlkampf herausgestellte Thema Innere Sicherheit tauchte auf dem Themenradar der Befragten praktisch gar nicht auf. Nimmt man die hohe Zufriedenheit mit dem Senat, die breite Anerkennung für den Ersten Bürgermeister Tschentscher im bürgerlichen und rechten Lager und die von den Befragten exzellent bewertete Wirtschaftslage in Hamburg hinzu, fehlte der AfD genau das, was ihr in den letzten Jahren vor allem Wahlerfolge bescherte: Proteststimmung.
2 Kommentare
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1: throwaway123:
23. Februar 2020 um 18:34 Uhr
Die Anmerkung mit der 2/3 Mehrheit habe ich schon in der Sendung nicht ganz verstanden. Die 2/3 Mehrheit dürfte rot-grün sogar dann haben, wenn FDP und AfD reinkommen. Ohne FDP und AfD hingegen könnte es sogar eine 3/4 Mehrheit werden.
2: nico:
23. Februar 2020 um 21:08 Uhr
Hallo Herr Schönborn,
ich hab jetzt eine frage, welche Stimmen werden zuerst gezählt die von den Parteien – denn in HH kann man ja 10 stimmen insgesamt abgeben? Wie werden die denn verteilt?
Vielen Dank für Ihre Hilfe!
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