In Sachsen und in Brandenburg müssen wir uns heute Abend darauf einstellen, dass rechtliche Besonderheiten über Mehrheiten entscheiden können. In Sachsen spielt dabei die Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs über die AfD-Liste möglicherweise eine entscheidende Rolle. Weil der Parteitag unterbrochen und das Wahlverfahren geändert worden war, hatten die Richter die Landesliste der AfD nur bis Platz 30 zugelassen.
Nun werden mit Blick auf die ersten Prognosezahlen auch die möglichen politischen Auswirkungen dieses Listenfehlers erkennbar. Weil mehrere Parteien unter der Fünfprozenthürde liegen, entsprechen 30 Mandate im sächsischen Landtag rein proportional gerechnet ungefähr 22 Prozent der Stimmen. Die AfD dürfte aber am Ende des Abends deutlich stärker sein. Ihr Bundestagswahlergebnis von 27 Prozent würde ihr umgerechnet auf die Landtagswahl proportional etwa 38 Mandate bescheren. Ob sie aber von diesen denkbaren zusätzlichen acht Mandaten etwas hätte, hängt mehr oder weniger von einem Zufall ab: Gelingt es ihr in solchen Wahlkreisen Direktmandate zu holen, in denen ihr Kandidat nicht auf der Liste steht, würde das Mandat besetzt und die Fraktionszahl über 30 hinaus erhöhen.
Im Ergebnis gilt also: Je erfolgreicher die AfD heute abschneidet, desto stärker kann sich ihr Listenfehler auswirken. Das politische Gewicht der AfD im Landtag wird entsprechend beschränkt, das Gewicht der anderen Parteien entsprechend erhöht. Gerade die Bildung einer kleinen Koalition zum Beispiel aus CDU und Grünen würde also erheblich begünstigt.
Im weiteren Verlauf des Abends könnte noch ein weiterer Effekt sichtbar werden: Sollte es der CDU gelingen, überproportional viele Direktmandate zu holen, würden diese sogenannten „Überhangmandate“ zwar nach sächsischen Wahlrecht teilweise ausgeglichen. Davon würden aber alle Parteien außer der AfD profitieren – weil ihre Liste, von der solche Ausgleichsmandate üblicherweise genommen werden, bereits bei 30 erschöpft ist.
Auch in Brandenburg gibt es interessante rechtliche Aspekte, von denen aber am frühen Abend noch nicht absehbar ist, ob sie sich auswirken. Wie in Sachsen, werden Überhangmandate zwar grundsätzlich ausgeglichen, aber nur in bestimmten Grenzen. Geht man davon aus, dass in der Regel die stärkste Partei, also die SPD von Überhangmandaten profitiert, dann kann es später um die Frage gehen, ob hier die Koalitionsbildung durch das Wahlrecht erleichtert wird. Zwei Bestimmungen sind dabei zu berücksichtigen: Bekommt eine Partei zwei Überhangmandate, werden diese nicht ausgeglichen, erst ab dem dritten findet ein solcher Ausgleich statt. Gibt es sehr viele Überhangmandate, ist der Ausgleich gedeckelt. Der Landtag kann insgesamt nur 110 Mitglieder haben. Bei sehr vielen Überhangmandaten wäre also entsprechend der politische Vorteil auch sehr groß.
9 Kommentare
RSS Feed der Kommentare
1: planina:
1. September 2019 um 18:54 Uhr
Ob Ihr Kommentar fachlich richtig ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber mich erschreckt es, dass dort so etwas wie Mitleid mit der AfD durchscheint. Diese Partei ist für mich eine Bedrohung der Rechte aller Menschen in Deutschland.
Als ich das Gymnasium besuchte, war es unseren Lehrern ein Herzensanliegen uns vor Augen zu führen, wohin rechte, menschenverachtende Politik führen kann. Wer nur einmal einen der Filme gesehen hat, die von den Amerikanern bei der Befreiung eines KZs gedreht wurde, kann eine solche Partei nicht ernsthaft an der Macht haben wollen.
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass 10 bis 15% der heutigen AfD-Wähler nichts anderes waren als Protestwähler.
Protest verstehe ich, auch ich fühle mich in keinster Weise von nur einem einzigen Politiker heute noch vertreten.
Ich würde mir wünschen, dass sich endlich verantwortungsvolle Menschen zusammen tun und eine wählbare Partei gründen, die sich um das Wohl der Bevölkerung kümmert, nicht um Posten und Geld.
Schöner Traum..
2: Vroni:
1. September 2019 um 19:55 Uhr
Pardon, dieser Kommentar ist sachlich falsch: Nicht der Sächs. Verfassungsgerichtshof hatte die AfD-Liste beschränkt, sondern der Wahlausschuss mit den Stimmen von CDU, SPD und Linkspartei – zuerst auf sogar nur 18 Plätze. Diese Entscheidung wurde vom Sächs. VerfGH klar als verfassungswidrig verurteilt. Eine Kürzung auf 30 Plätze dagegen hat er als rechtlich möglich, aber keinesfalls zwingend, zugelassen. Es handelt sich um eine Beschränkung durch den und im Ermessen des Wahlausschusses; bei einem ganz ähnlichen Sachverhalt wurde damals die Liste der Linkspartei nicht gekürzt.
3: oh:
1. September 2019 um 20:15 Uhr
Das kann ja spannend werden, wenn das gewünschte Votum der Wählerinnen an so vielen Ecken und Kanten "geschliffen" wird. Sollten wir bei allen Nachteilen nicht zu einem klaren Verhältniswahlrecht oder zu einem klaren Personenwahlrecht tendieren? Beide haben natürlich auch ihre Nachteile (siehe Großbritannien). Aber im elektronischen Medienzeitalter sind doch Kandidatinnen auch über die Wahlkreise hinaus bekannt. Oder?
4: Ralf Holzapfel:
1. September 2019 um 20:50 Uhr
Wie werden die Sachsen wohl darauf reagieren, wenn sich der Wählerwille nicht im Parlament wiederfindetspiegelt. Das Streichen der Listenplätze durch die Wahlleiterin war offensichtlich herbeigeführt um der AFD zu schaden. Das Argument für die Streichung war, dass die Bewerber der hinteren Listenplätze benachteiligt wurden. Es hat sich allerdings, seitens der Bewerber, niemand benachteiligt gefühlt.
5: AbseitsDes Mainstreams:
1. September 2019 um 20:58 Uhr
Müssten wir uns nicht endlich mit einer echten Opposition abfinden. Ist es noch richtig, diese Opposition ständig mit üblen Tricks klein zu halten?
In diesem Sinne sind die Entscheidungen des Landeswahlausschusses und des sächsischen Verwaltungsgerichtshofs eher traurig. Man sollte mit offenem Visier und mit Argumenten als Waffe die Debatte fechten. Was gegen die AfD derzeit läuft – z. B. auch keinen stv. Bundestagspräsidenten – ist ein Trauerspiel für echte Demokraten.
Der Wähler ist nicht so dumm, wie die Politiker denken …
6: Ben:
1. September 2019 um 21:09 Uhr
Gerichte verhindern in Sachsen den Wählerwillen. Das ist Schade. 9 Mandate weniger für die AFD (30 statt 39), das kann man in einer Demokratie eigentlich nicht machen. Die Gerichte haben hier klar zu Gunsten der CDU entschieden und ich frage mich, ob die Entscheidung wirklich unabhängig gefallen ist. Man hätte der AfD eine Chance zur Korrektur Ihres Fehlers geben müssen. Für mich hat das einen Nachgeschmack.
7: Flo:
1. September 2019 um 22:49 Uhr
Hätte die AfD ihre Kandidaten mit dem selben Wahlverfahren und gleichem Wahlleiter aufgestellt wie jede andere Partei auch, hätte sie dieses Problem nicht. Nicht die Gerichte sind Schuld sondern eigene Unfähigkeit. Aber es ist ja einfacher die Schuld bei anderen zu suchen…
8: Dominik:
1. September 2019 um 23:15 Uhr
Das muss ich doch korrigieren: Der sächs. Verfassungsgerichtshof hat lediglich entschieden, dass die Kürzung der Landesliste durch den sächs. Landeswahlausschuss in Teilen "vermutlich rechtswidrig" war, und man hat deshalb 30 Listenplätze statt der ursprünglich durch den Landeswahlausschuss zugelassenen 18 zugelassen, d.h. der Gerichtshof hat die Landesliste nicht gekürzt, sondern hat gerade GEGEN eine drastische Kürzung entschieden. Ob die Kürzung allgemein rechtswidrig war, das hat der Verfassungsgerichtshof hingegen nicht entschieden, da es für diese Frage ja noch das Wahlprüfungsverfahren nach der Wahl gibt (das allerdings viel Zeit in Anspruch nehmen kann). Es kann also durchaus immer noch passieren, dass im Wahlprüfungsverfahren festgestellt wird, dass man alle Listenplätze hätte zulassen müssen. Ganz egal, was man von der AfD nun halten mag– es ist in jedem Falle tragisch für die Demokratie, wenn ein Parlament von Anfang an unter einem solchen Legitimationsvorbehalt leidet…
9: Andy:
6. September 2019 um 01:48 Uhr
Grundsätzlich finde ich es bedenklich, wenn man so tut, als sei eine Wahl der AfD ein Fehler des Wählers , den man dann psychologisieren müsse. In einer Demokratie gibt es keine richtige Wahlentscheidung. Dass mit allen Tricks einschließlich Wahlformalien gegen diese Partei vorgegangen wird, sehr bedenklich. Es ist klar politisch motiviert. Es sagt ja auch keiner etwas zu den Brandanschlägen auf AfD Politiker und ihre Büros.
Wir müssen wieder lernen Demokraten zu sein. Und Medienschaffende müssen ihre Gesinnung viel besser verbergen. Doppelte Standards müssen weg. Dann ist es schnell wieder vorbei mit dem Spuk der Populisten.
Ihr Kommentar
Bitte geben Sie einen Namen an.
Kommentarrichtlinien
Um zu verhindern, dass Gruppen oder einzelne Nutzer die Kommentarfunktion des Blogs für politische Werbung oder die Verbreitung von beleidigenden oder rassistischen Texten missbrauchen, sind wir gezwungen, Einträge nur nach vorheriger Kontrolle durch die Redaktion zu gestatten. Wir bitten um Verständnis.
Kommentarrichtlinien im Detail