Ich beschäftige mich beruflich gerade viel mit Ampelfarben. Allerdings nicht im Auto, sondern mitten bei der Arbeit, der Justizberichterstattung aus Karlsruhe. Denn ab morgen gibt es dabei etwas Neues. Wir dürfen erstmals Urteilsverkündungen aller obersten Bundesgerichte filmen. Ein spannendes Projekt. Allerdings gibt es eine Bedingung: Das Gericht muss zustimmen, dass wir filmen dürfen. Und da kommt die Ampel ins Spiel. Denn bei den Terminankündigungen auf der Homepage des Bundesgerichtshof ist in Ampel-Manier markiert, ob wir das Urteil filmen dürfen. Rot steht für Filmen verboten, grün für „Filmen erlaubt“ und gelb für „noch offen“.
Am Donnerstag (also am ersten Tag, an dem das neue Gesetz gilt) steht um 14.30 Uhr die Urteilsverkündung der Revision zum Fall „Safia S.“ an. Es geht um den Messer-Angriff auf einen Bundespolizisten am Hauptbahnhof Hannover durch eine 15-Jährige mit Kontakten zum sogenannten „Islamischen Staat“. Die Ampel steht auf „rot“. Gleich zum Einstieg also ein Verbot. Ob das womöglich Nachwehen der umstrittenen Vorgeschichte des neuen Gesetzes sind?
Lockerung des Filmverbots an obersten Bundesgerichten
Denn die neuen Möglichkeiten waren in weiten Teilen der Justiz auf große Ablehnung gestoßen. Ich hatte auch an dieser Stelle über das Gesetz und die Diskussion darüber berichtet. Zuletzt hatte ich aber das Gefühl, dass im Bundesgerichtshof immer häufiger die Devise herrscht: Jetzt kommt das Gesetz, dann packen wir’s auch an.
Seit 1964 steht im „Gerichtsverfassungsgesetz“, dass Film- und Tonaufnahmen von Gerichtsverfahren verboten sind. Das ist der Grund, warum man in einem Tagesschau-Beitrag stets die einziehenden Richterinnen und Richter in ihren Roben sieht, sie aber nie sprechen hört. Nach dem Einzug müssen die Kameras immer raus.
Eine einzige Ausnahme vom Filmverbot gibt es seit 1998. Und zwar am Bundesverfassungsgericht. Dort dürfen wir die Urteilsverkündungen filmen und übertragen (nicht die Verhandlungen). Das machen wir einige Male pro Jahr auf Phoenix oder als Live-Stream auf tagesschau.de, manchmal auch im Ersten (Atomausstieg, Vorratsdatenspeicherung, Euro-Rettung etc.) Immer mit einer Einführung ins Thema und einer ersten Einordnung nach dem Urteil. Das neue Gesetz erlaubt uns genau dies nun für alle obersten Bundesgerichte. Wenn der jeweilige Senat es zulässt. Das Filmverbot wird also für einen eng begrenzten Bereich gelockert. Es geht nicht um ein allgemeines „Gerichtsfernsehen“ aus allen Instanzen.
Urteile können Millionen von Menschen betreffen
Häufig höre ich die Frage: Interessiert das denn überhaupt jemanden, solche Urteilsverkündungen? Lassen Sie uns den Gegencheck machen: Hätten Sie sich Ende Februar das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema „Diesel-Fahrverbote“ angeschaut? Zum Beispiel auf Phoenix oder im Livestream bei tagesschau.de? Rund 15 Minuten hat das gedauert, in verständlicher Sprache vorgetragen (ich war dabei). Das Diesel-Urteil ist nur ein Beispiel dafür, dass Urteile mitten im Leben von hundertausenden Menschen spielen können und einfach relevant sind. So wie ganz selbstverständlich eine spannende Bundestagsdebatte übertragen wird, kann das künftig eben auch das ein oder andere Gerichtsurteil sein. Das Thema „Recht“ wird noch stärker im Programm verankert.
Filmverbot ohne Begründung
Das anstehende Revisionsurteil im Fall Safia S. ist von der Breitenwirkung wohl nicht mit dem Diesel-Urteil vergleichbar. Aber interessant ist das Thema trotzdem. Warum der zuständige 3. Strafsenat das Filmen des Urteils nicht zugelassen hat? Ich weiß es leider nicht. Denn der Senat hat nicht begründet, warum die Ampel auf „rot“ steht. Auch auf meine schriftliche Nachfrage gab es bislang (Stand Mittwoch 11 Uhr) keine Antwort. Komisch finde ich das schon, bei einem obersten Bundesgericht. Klar, es geht um eine minderjährige Angeklagte. Die Verhandlung am BGH im Februar war allerdings öffentlich. Und auch beim Urteil wird ja die gesamte Presse im Saal sitzen und jedes Wort mitschreiben. Die Angeklagte wird hingegen sowieso nicht im Gerichtssaal sein, wie fast immer in Karlsruhe, wo es nur noch um Rechtsfragen geht. Ihre Persönlichkeitsrechte würden wir angemessen schützen.
Kommt es doch noch zur Premiere?
Sei’s drum – kein Grund, um ins Kissen zu weinen. Es gibt ja noch einen zweiten Termin am Donnerstag. Und da steht die Ampel tatsächlich auf „grün“. Der I. Zivilsenat verhandelt am Morgen über die Zulässigkeit von Werbeblockern im Internet. Das ist wichtig für viele Verlage, und viele User kennen die Tools. Das Problem dabei ist aber: Wir wissen vorher nie, ob dann am Nachmittag auch wirklich das Urteil kommt. Das erfahren wir wohl erst so gegen 14.30 Uhr, ob ca. eine Stunde später das Urteil kommt oder nicht. Unabhängig davon, wie hoch die inhaltliche Relevanz ist – das macht es fast unmöglich, einen Sendeplatz im Fernsehen (z.B. bei Phoenix) zu bekommen. Und auch ein Livestream mit Moderation erfordert ein gewisses technisches Equipment. Außerdem reißt das Thema aus meiner Sicht nicht die Schwelle, dass man es unbedingt live machen muss. Ein guter Mittelweg könnte sein, dass wir die Urteilsverkündung anschließend online stellen, mit kurzer Einführung und einer ersten Einschätzung danach.
So wird es in der Praxis ablaufen
Für die Praxis der kommenden Wochen und Monate sind mir folgende Punkte wichtig, die ich auch in der Vergangenheit betont habe:
- Wir werden nicht jedes BGH-Urteil live übertragen. Es geht um ausgewählte, besonders relevante und zuschauernahe Themen. Wenn live nicht möglich ist, kann das zeitversetzte Online-Stellen eine gute Alternative sein.
- Am häufigsten werden wir einzelne Passagen als Zitate in unsere Berichte über die Urteile einbauen, zum Beispiel in der Tagesschau um 20 Uhr, so wie wir es am Bundesverfassungsgericht auch oft machen.
- In jedem Fall dürfen wir weiter den Einzug des Gerichts als Bild für unsere Beiträge filmen. Auch wenn die Ampel auf „rot“ steht.
Ich hoffe (und bin auch verhalten zuversichtlich), dass die Ampel künftig bei spannenden Urteilen auf „grün“ stehen wird. Etwa im Mai, wenn es um Dashcam-Aufnahmen nach einem Unfall geht. Oder im Juni, zu Kriegsverbrechen im Kongo. Ganz besonders am 21. Juni 2018, wenn es um die schwierige Frage geht: Was passiert nach dem Tod eines Menschen mit dessen Facebook-Account? Dürfen die Eltern eines verstorbenen Kindes darauf zugreifen? Stichwort „digitales Erbe“. Diese Urteilsverkündungen würde ich zum Beispiel gerne auf Phoenix senden oder auf tagesschau.de streamen und danach einordnen.
10 Kommentare
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1: Matthias Schneider:
18. April 2018 um 15:49 Uhr
In den USA ist man viel weiter, auch was Untersuchungsausschüsse angeht. Die Zuckerberg-Anhörungen sind hiefür ein gutes Beispiel.
Gerichtsprozesse lassen sich dort, zumindest partiell, live im TV verfolgen.
Das höchstrichterliche Entscheidungen nun auch bei uns der Öffentlichkeit gezeigt werden, finde ich persönlich genial. Wie vom Blog-Autoren angeführt, gehe auch ich davon aus, dass sich viele die Entscheidungen zur Diesel-Abgasaffäre angesehen hätten.
Oder erinnert sich noch jemand an die Stuttgart 21 Vermittlungsausschüsse, die live bei Phoenix übertragen wurden?
Ich glaube, dass mehr Beteiligung oder Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit unserer Demokratie nur gut tun werden.
Ich bin gespannt, an welchen Urteilen und deren Begründungen man uns zukünftig teilhaben lassen wird.
2: Steffen:
18. April 2018 um 15:52 Uhr
Mich interessiert, warum es überhaupt ein Verbot von Film- und Tonaufnahmen gab bzw. gibt.
3: Willi Wacker:
18. April 2018 um 18:18 Uhr
Warum überhaupt das Verbot? Die ursprüngliche Begründung kann ich nicht zitieren. Aber das amerikanische Vorbild kann jederzeit als abschreckendes Beispiel herhalten: Übertragen werden besonders gerne spektakuläre Fälle, die in erster Linie die Sensationslust des Publikums bedienen. Das Informationsbedürfnis kann man auch ohne Live-Übertragung befriedigen.
4: DerMaestro:
18. April 2018 um 18:46 Uhr
Es ist schön, dass nun endlich dieses Gesetz in Kraft tritt und ich hoffe, dass die Übertragung bei interessanten Urteilen dann auch erlaubt ist.
Leider wird bei Das Erste und PHOENIX immer bei erstbester Gelegenheit ins Studio gewechselt und das ganze mit einem Gast ("Experte") eingeordnet – ohne dass man überhaupt das Ende der Begründung des Gerichts abwartet. Daher auch in Zukunft uninteressant für mich.
5: klasube:
18. April 2018 um 23:04 Uhr
Ich habe lange in den USA gelebt und kenne von dort, dass sogar Gemeinderatssitzungen live in den regionalen TV-Sendern übertragen werden. Ebenso Ausschußsitzungen, Prozesse etc.
Ich finde das richtig und normal. Gerichte sprechen doch Urteile "im Namen des Volkes" – warum also wird das Volk ausgeschlossen?
6: Dennis Bitzer:
19. April 2018 um 00:50 Uhr
Zum Beitrag der Rechtsredaktion
"Filmverbot ohne Begründung"
Der Autor erweckt für mich den Eindruck, als ob er es schade finden würde bzw. es bedauert, dass das Gericht im besagten Fall kein "grünes" Licht zum Filmen der Urteilsverkündung gegeben hat. Insbesondere dessen, da keine für den Autor oder keine plausible Begründung vorgelegen hat.
Genau hier möchte ich dazu den Einwand vorbringen, dass genau diese Argumenationsweise für sehr kritisch erachte. Nicht das Gericht soll begründen, warum es das Filmen nicht zulässt, sondern es soll frei von Begründungen, sehr gerne auch willkürlich dies in einer gänzlich für sich selbst nur empfundenen oder ggf. begründeten Entscheidung treffen.
Es bedarf keiner Begründung an Interessierten. Genau dies führt nämlich dazu, dass Gerichte in gesellschaftpoltische Debatten über das mögliche Gestatten oder Ablehnen von Aufnahmen sich genötigt sehen könnte. Dies würde die Unabhängigkeit oder Souveränität der Justiz zunehmend in Frage stellen.
7: Bernd39:
19. April 2018 um 06:32 Uhr
Eines vorweg. Als "Bruder im Geiste", Herr Bräutigam. Als ehemaliger Schöffe in 3 Wahlperioden sehe ich mir ALLE Urteile an, so sie denn übertragen werden. Und zu ca 90% treten meine Vorhersagen auch ein, ist eben diese Erfahrung als Schöffe. Nun zum Thema.
Das beginnt leider mit einen falschen Beispiel. Verhandlungen gegen 15jähre sind aus gutem Grund in D grundsätzlich nicht öffentlich. Und bei all der verständlichen Neugier, das sollte auch für das Urteil gelten.
Und die Farbe "Gelb" halte ich ebenfalls für überdenkenswert. Wir als Gericht konnten doch am besten VORHER beurteilen, wo ein Urteil zu erwarten ist, daß evtl. vor der nächsten Instanz "wackelt".
Waspassiert aber mit den Rechten eines Beschuldigten/Angejklagten, dessen Verurteilung der 1. Instanz aufgehoben wird, und schließlich ein freispruch draus wird?
Gerade aktuell: Wenn Kachelmann (bekannt?) auch noch seinen 2. Prozess gegen Springer wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte gewinnt, ist er um fast 1 Mio reicher.
8: Tim Creagh:
19. April 2018 um 09:03 Uhr
Im heutigen Deutschland würde eine Hetzjagd auf Täter stattfinden. Und warum denen Voyeurismus ermöglichen, die keine Zivilcourage haben?
9: Karl Heinz:
19. April 2018 um 10:27 Uhr
Ein Publikumsrenner wird nur, wenn das ähnlich unsinnig inszeniert wird wie die Showveranstaltungen mit Frau Salesch oder Herrn Holdt.
Wenn dann aber doch noch verboten werden darf, darf das dann auch der Angeklagte entscheiden?
Oder der Kläger?
Oder das Opfer?
Warum nicht gleich eine Stadionveranstaltung?
Gibt es freie Tage dafür, dass ich mir selbst einen Überblick über Urteilsfindungen verschaffen kann?
Oder darf ich während der Arbeit zuschauen?
Hat das etwas mit Demokratie zu tun?
Werden die Sitzungen der Untersuchungsausschüsse der Parlamente auch live übertragen?
Denn erst da wäre es wirklich interessant!
Mit wrlcher Begründung darf so etwas nun Öffentlich werden?
10: Andre:
3. Juni 2018 um 13:18 Uhr
Das Freislergebrüll ist noch in der deutschen Justiz in Mark und Bein. Nie wieder wollte man so etwas. Ein Richter, der im Lichte der medialen Öffentlichkeit sich als Hardliner präsentiert.
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